„Lernen von Seinesgleichen“ von Gastautor Kuno Roth

Die B’VM freut sich mit Kuno Roth einen ersten Gastblogger begrüssen zu dürfen, der in Zukunft seine Erfahrungen im Bereich des organisationalen Lernens mit Ihnen teilen wird.

Kuno Roth arbeitete zuletzt als Leiter des globalen Mentoring- und Coaching-Programms bei Greenpeace International. Zuvor war er 25 Jahre lang Bildungsverantwortlicher von Greenpeace Schweiz. Frisch pensioniert, ist er weiterhin als Berater tätig und amtet zudem als Co-Präsident von Solafrica. Jahrgang 57, Dr. rer. nat., ehemaliger Chemiker, nunmehr Humanökologe, Lernspezialist sowie Schriftsteller. Neben Kolumnen schreibt er in seiner Freizeit vor allem Gedichte und Aphorismen. Seine letzten Veröffentlichungen sind «Im Rosten viel Neues» (Gedichte, 2016), «Aussicht von der Einsicht» (Aphorismen, 2018) sowie ‹KL!MA VISTA – Die Schneefallgrenze steigt› (2. Aufl. 2022, bei Pro Lyrica).


Warum zwei Drittel aller beruflichen Weiterbildungen nicht ihren Zweck erfüllen und was man besser machen könnte, lernen wir von Kuno Roth

Rund 6 Milliarden Franken* werden in der Schweiz pro Jahr für berufliche Weiterbildung ausgegeben, die meist in Form von Kursen unterschiedlicher Länge stattfindet. Diese hohe Bereitschaft von Firmen und Organisationen, in die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden zu investieren, ist eindrücklich und im Prinzip lobenswert. Weniger lobenswert ist – das legen verschiedene Untersuchungen nahe -, dass diese Investitionen oft nicht die gewünschten Resultate zeitigen. So zeigen eine Studie aus Deutschland (gemäss Psychologie Heute vom März 2013) sowie zwei Untersuchungen aus den USA (siehe FORBES 2016 und Harvard Business Review 2017), dass ungefähr zwei Drittel dieser Investitionen nicht die beabsichtigte Wirkung erzielen, nämlich einen Teil des Gelernten später im Betrieb tatsächlich anzuwenden. Zwar wurden die Studien mit Pro-Profit-Firmen durchgeführt, doch vermutlich ist dies im Non-Profit-Bereich ähnlich.

Ein Grund dafür dürfte die weit verbreitete Mentalität sein, ein auftretendes Betriebsproblem mit einem Kurs beheben zu wollen, also z.B. wenn Mängel in der Feedbackkultur festgestellt werden, die Leute durch einen entsprechenden Kurs zu schleusen und zu denken, damit sei das Problem aus der Welt geschafft. Ist es in aller Regel aber nicht.

Der zweite Grund – und um den geht es hier – weshalb Kurse oft nicht wie gewünscht wirken: Nach einer Weiterbildung fehlt oft die nötige Unterstützung im Betrieb, das Gelernte in die Praxis zu transferieren; deshalb ändert sich in dieser meist nicht viel. Sei es, weil Betrieb oder Vorgesetzte eigentlich nichts ändern wollen, weil der hektische Alltag verhindert, Gelerntes auszuprobieren oder sei es, weil die Absolventin mit dem Gelernten allein gelassen wird.

Transfer mit Peers

In die Weiterbildung der Mitarbeitenden zu investieren ist gut, noch besser ist, dafür zu sorgen, dass der Transfer von der Theorie des Schulzimmers in die Praxis des Alltags nachhaltig geschieht. Plakativ gesagt: Kein Kurs ohne Transferplan. Und die einfachste Massnahme für den Transfer ist Peer-Learning oder Peer-Support. Im ersten Fall werden zwei Kurs-Abgänger*innen für beispielsweise einen wöchentlichen Austausch während einigen Monaten nach dem Abschluss «gepaart»; beim Peer-Support erhält die Abgängerin einen Sparring-Partner im Betrieb.

Wie beim Sport im Training:  Zusammen praxisnah zu üben, ist eine der wirksamsten und billigsten Lernmethoden, also das «Lernen von und mit Seinesgleichen». Das kann prinzipiell auf zwei Arten geschehen. Die erste: Lernen aus den Erfahrungen anderer in ähnlicher Situation; man muss nicht jedes Rad vollumfänglich selbst erfinden – man kann von anderswo erfundenen Rädern profitieren.

Die zweite Art des Lernens von Seinesgleichen wurde in einer Unterform – nämlich der «Peer-Review» – während der Pandemie einem breiten Publikum bekannt.  Diese «Review» bedeutet, dass die Resultate einer Forschungsgruppe vor der Publikation von mehreren Forscher*innen aus dem gleichen Gebiet anonym und kritisch begutachtet werden. Damit wird gegenseitig aus den Erfahrungen der anderen Peers gelernt: Die kritischen Begutachter lernen aus neuen Resultaten, die Forschenden lernen daraus, was ihre Kolleg*innen davon halten. Mit diesem Review-Prozess wird die Qualität der Forschung verbessert.

Peer-Learning als Kultur etablieren

Diese zweite Art des «Lernens von und mit Seinesgleichen» wird je nach Form eben «peer review» (kollegiale Überprüfung), «peer support» (kollegiale Beratung) oder «peer learning» (miteinander lernen) genannt. Solche kollegiale Lernformen ist natürlich nicht nur unter Forschenden effektiv. Tauschen Gesundheitspolitiker, Lehrkräfte oder Kampaignerinnen über Erfolge, Fehler und Herausforderungen aus, können sie gegenseitig ihre Praxis verbessern.
Und können dabei die «Peer-Paare oder -Trios» aufwandsarm arrangiert werden, ist Peer-Learning kostengünstig und die erste Wahl. So wie das übrigens ja bei Kindern ohne weiteres einfach geschieht, nämlich von den Schulkamerad*innen und in der Clique durch Nachahmen oder Abgucken zu lernen (im Guten wie im weniger Guten freilich; doch hier geht nur um die Effektivität des Lernens, nicht um die Inhalte).

Arrangiertes Lernen von und mit Peers sollte also eine selbstverständliche Grundlage beruflicher und anderer Weiterbildungen werden, um damit den Transfer von der Theorie in die Alltagspraxis wahrscheinlicher zu machen. Darum geht’s ja schliesslich.

Kommt hinzu, dass Peer-Learning hilft, in einer zunehmend volatilen, unsicheren und fragilen Welt nicht unterzugehen. Denn Lernen mit Seinesgleichen ist auch emotionaler Support. Ich vermute, dass dieser emotionale Anteil kollegiales Lernen so effektiv macht: Unter Seinesgleichen kann man offen(er) über Schwierigkeiten sprechen und direkt(er) von gelingender Praxis der anderen lernen. Übt man dann grad noch zusammen, bleibt es haften.

Stellt sich nun noch die Frage: Wie stellt man fest, ob und inwieweit Lern-Transfer von der Theorie in die Praxis stattfindet? Davon handelt die nächste Kolumne.

PS: NGOs intervenieren mit ihren Kampagnen gesellschaftlich und wollen so Änderung bewirken. Man will, dass sich jemand ändert, damit sich etwas ändert. Dieser Jemand kann eine Einzelperson, eine Gruppe, ein Dorf oder die Mehrheit der Abstimmenden sein. Jede Verhaltensänderung beruht auf einem bewussten oder unbewussten Lernvorgang – etwas Neues wird gelernt und/oder etwas Altes ent-lernt. Lernprozesse sind also für gesellschaftliche Änderung zentral. So gesehen sind Kampagnen gesellschaftliche Lerninterventionen. Und somit erstaunt es etwas, dass Lernprozesse und Lernmethoden bei NGOs in meiner Wahrnehmung eher ein marginales Dasein fristen. Da ist man im Sport weiter. Jedes 4. Ligateam wird trainiert, übt zwei Mal wöchentlich und versucht, das Gelernte in ein verbessertes Spiel umzusetzen: Könnte man auch in Kampagnen und Projekten.

* Die einzige dazu gefundene Untersuchung von Dolores Messer und Stefan Wolfers stammt von 2009, Zitat: «Eine Hochrechnung (…) zeigt ein grosses Marktvolumen in der Höhe von rund 1% des Bruttoinlandproduktes (BIP) oder 5,3 Mrd. Franken. Rund die Hälfte dieses Volumens wird von den Nachfragenden selbst bezahlt; für den Rest kommen die Arbeitgeber oder staatliche Institutionen auf.» Diese Zahl dürfte in den letzten 13 Jahren etwas gewachsen sein.


Weitere Beiträge

Leisten Sie noch… oder wirken Sie schon?

Wirkungsmessung ist gerade für NPO von grosser Bedeutung. Die eigenen Mitglieder, Geber:innen von Leistungsverträgen, Vergabestiftungen und zahlreiche weitere Anspruchsgruppen wollen heute nicht wissen, was eine Organisation tut, sondern was sie bewirkt. Allerdings ist dieser Nachweis nicht einfach zu erbringen.

Job
Verantwortliche:r Kommunikation 50-70%

Gib den Bergen eine Stimme! Mountain Wilderness ist eine von Alpinist:innen lancierte internationale Bewegung zum Schutz der Berge. In der Schweiz setzen wir uns seit 30 Jahren für wilde Gebirgswelten und umweltverträglichen Bergsport ein. Wir verstehen uns als visionäre Impulsgeber:innen und wirken in einem starken Netzwerk.

Job
Geschäftsleiterin oder Geschäftsleiter (60-80%)

Die Stiftung für preisgünstigen Wohnraum Basel-Stadt bezweckt preisgünstigen Mietwohnraum und preisgünstige Räumlichkeiten für Kleinbetriebe zu erhalten bzw. zu schaffen und bereitzustellen. Die im 2021 ins Leben gerufene Stiftung befindet sich im Aufbau. Per sofort oder nach Vereinbarung sucht die Stiftung für preisgünstigen Wohnraum Basel-Stadt eine/n Geschäftsleiterin oder Geschäftsleiter.

Job
Projektleiter/in Bauherr (80-100%)

Die Familienheim-Genossenschaft Zürich (FGZ) ist eine gemeinnützige Wohnbaugenossen-schaft, die bezahlbaren und attraktiven Wohnraum für alle Generationen erstellt und vermietet. Als grosse Siedlungsgenossenschaft prägt sie mit nahezu 2300 Wohn- und einigen Gewerbeobjekten im Zürcher Stadtkreis 3 das Leben im Quartier Friesenberg positiv.

Netzwerkanlass von VMI und B’VM, 11. Januar 2023

Mit Freude schauen wir auf den Netzwerkanlass von VMI und B’VM zurück. Unsere 100 Gäste haben den Austausch rund ums Thema Wandel in Nonprofitorganisationen und die Vernetzung genossen.

Bereit für das neue Datenschutzgesetz?

Im August 2022 hat der Bundesrat entschieden, dass das neue Datenschutzgesetz (revDSG) zusammen mit der neuen Datenschutzverordnung (DSV) per 1. September 2023 in Kraft treten wird. Was heißt das nun für Ihre NPO? Dieser Artikel verschafft Ihnen einen Überblick über die wichtigsten Punkte, welche umgesetzt werden müssen.

Danke Gerlinde Stöbich für 30 Jahre Pionierarbeit

1992 ist Gerlinde Stöbich zum damals in der Schweiz bereits bestehenden B’VM-Team gestossen. Zusammen mit ihrem Kollegen Andreas Kattnigg und der Aktiengesellschaft in der Schweiz, hat sie die B’VM GmbH in Linz mitgegründet und wurde Partnerin.

B’VMessage Nr. 79 – Wissensarbeit, Sponsoring und Strategie

Lesen Sie die aktuelle B'VMessage mit Fachartikel unserer Beratenden jetzt. Finden Sie heraus, welche Aktivitäten die B'VM umsetzt und/oder plant und holen sich Informationen zu Events und zu B'VM Mitarbeitenden. Viel Spass bei der Lektüre!

Agilität – etwas für Ihre Organisation?

Gärtchendenken, Innovationsstau, zu lange Entscheidungsprozesse, Bürokratie etc. Kein Wunder interessieren sich immer mehr Organisationen für Agilität und Formen der Selbstorganisation. Unser neues Angebot bringt Klarheit für Sie und Ihre Organisation.

Job
Stiftungsratmitglieder (Ehrenamt)

Zur Erweiterung des bestehenden Stiftungsrates sucht Zugang B ehrenamtliche Stiftungsratsmitglieder (m/w), die durch ihre Einstellung und ihr Engagement dem Stiftungszweck verbunden sind. Sie bringen ausgewiesene Erfahrung in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Kindsschutz oder Migration mit sowie Kompetenzen im Umgang mit den Behörden, der Politik, den Medien und der Zivilgesellschaft.

Wir sind gerne für Sie da

Nutzen Sie das Kontaktformular, schreiben Sie uns eine E-Mail oder rufen Sie einfach kurz an.

Schweiz

Deutschland

Österreich

Kontaktformular